Underachiever

Was ist Underachievement?


Wenn zwischen der intellektuellen Begabung und den schulischen Leistungen eines Kindes eine deutliche Diskrepanz besteht, spricht man von Underachievement oder "erwartungswidrigen Minderleistungen".

 

Kennzeichnend ist eine Minderleistung, die sich mindestens über mehrere Monate oder sogar Jahre hinzieht. Kurzfristige Leistungseinbrüche, die durch ungünstige äußere Umstände wie z.B. familiäre Probleme, Scheidung der Eltern, Krankheit, ein Orts- oder Klassenwechsel hervorgerufen werden können, werden nicht dazu gezählt. Underachievement gibt es aber nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, auch Erwachsene können davon betroffen sein, besonders die spät oder gar nicht entdeckten Hochbegabten.

Eine Hochbegabung bei einem Kind, das in der Schule schlechte Leistungen bringt, kann leichter übersehen werden. Jedoch kann man Underachiever über einen IQ-Test gut identifizieren. 
 

Wieviele Underachiever gibt es unter Hochbegabten?

Experten schätzen, dass ca. 15 % der Hochbegabten von Underachievement betroffen sind (BMBF Infobroschüre "Hochbegabte Kinder erkennen und fördern").

Mögliche Ursachen für Underachievement

Die Gründe hierfür können so unterschiedlich sein, dass Psychologen von einem sehr individuellen Phänomen sprechen.
Die Auslöser können bei den Betroffenen selbst liegen, in ihrem Umfeld oder auch in einer Wechselwirkung zwischen beiden, z.B.:

  • Körperliche Erkrankungen, psychische Störungen oder auch Teilleistungsschwächen (Legasthenie, Dyskalkulie), die dazu führen, dass eine Hochbegabung nicht erkannt und somit nicht auf die besonderen Merkmale und Bedürfnisse des Kindes eingegangen wird
  • Mangelnde Unterstützung im Elternhaus, wenn die Hochbegabung nicht erkannt oder das Kind nicht hinreichend gefördert wird
  • Ständige Unterforderung, Vorurteile von Lehrkräften oder unpassende didaktische Konzepte, die für hochbegabte Kinder nicht geeignet sind
  • Fehlende Lern- und Arbeitstechniken. Gerade Hochbegabte müssen "lernen zu lernen", denn sie lernen anders, als der Durchschnitt. Ihre oft unkonventionelle und ungewöhnliche Art Probleme und Aufgaben zu lösen kann wiederum bei Lehrern und Eltern auf Widerstand stoßen, da ihr Vorgehen nicht immer als kreatives und kluges Verhalten erkannt wird
  • Bestimmte Rollenerwartungen in unserer Gesellschaft können gerade bei hochbegabten Mädchen und Frauen dazu führen, dass sie ihre Interessen und Fähigkeiten verstecken
  • Mobbing, Neid und Angst vor Ausgrenzung können dazu führen, dass sich ein begabtes Kind lieber den Werten und Interessen einer Gruppe oder dem Klassenverband anpasst, um dazuzugehören

 

Welche Probleme kann Underachievement bei Hochbegabung verursachen?

 

  • Underachievement kann einen hohen Leidensdruck bei den Betroffenen erzeugen. Der amerikanische Psychologe Abraham Maslow beschrieb es als eines der menschlichen Grundbedürfnisse, das eigene, individuelle Potenzial umsetzen zu können
  • Es kann die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls gefährden, zu Minderwertigkeitsgefühlen,  Depressionen und psychosomatischen Beschwerden führen. Bei Kindern besteht die Gefahr, dass Underachiever eine negative Einstellung zum Lernen und zur schulischen Ausbildung entwickeln und durch schlechte Noten bis zum Sitzenbleiben der Einstieg in ein erfolgreiches Berufsleben gefährdet wird
  • Das Problem wirkt sich nicht nur auf die Underachiever selbst aus, sondern auch auf die gesamte Gesellschaft: Das überdurchschnittliche Potenzial der Betroffenen wird nicht genutzt und gerade im Hinblick auf unsere immer komplexer werdende Welt und der damit einhergehenden komplexen Herausforderungen kann es sich keine Gesellschaft leisten, auf ihre schlauesten Köpfe zu verzichten


Hilfe bei Underachievement


Liegen bereits psychische oder psychosomatische Beschwerden vor, kann eine Psychotherapie angezeigt sein. Defizite bezüglich passender Lern- und Arbeitstechniken, Struktur, Selbstmotivation, Durchhaltevermögen, Umgang mit Problemen oder Fehlschlägen, können z.B. durch professionelle Coaches und spezielle Trainingsangebote bearbeitet werden.


Erwachsene Underachiever


Bei erwachsenen Underachievern ist die Situation oft schwieriger, als bei Kindern und Jugendlichen, denn hierzu gibt es bisher kaum Studien, Literatur, Beratungs- oder Anlaufstellen. Der Lebenslauf weist meist eine längere Karriere aus Niederlagen, Frustrationen und Verletzungen auf. Das verzerrte Selbstbild zu korrigieren, die Trauer über die vielen verpassten Chancen und Möglichkeiten zu verarbeiten, sein Leben aus einem neuen Blickwinkel zu betrachen, neu zu gewichten und zu gestalten braucht Mut, Kraft und kann einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Ausbildung zum Traumberuf oder das langersehnte Studium nachzuholen sind zeitlich, organisatorisch und finanziell nicht immer umsetzbar. Vielleicht sind Immobilienkredite abzuzahlen, Kinder im betreuungsintensiven Alter zu versorgen oder sonstige Hürden zu überwinden. Wie reagiert die Familie und der Partner auf ein positives IQ-Testergebnis, hält die Partnerschaft das neue Selbstbild, die neuen Pläne oder vielleicht eine neue Rollenverteilung aus? Professionelle Hilfe kann hier wichtige Unterstützung bieten.

Erwachsene Underachiever und spät entdeckte Hochbegabte hinterfragen nach einem positiven IQ-Test oftmals ihr ganzes Leben. Wie lange konnte man sich die innere Unzufriedenheit, die gefühlte, unerklärliche Leere und die diffusen, unerfüllten Bedürfnisse nicht erklären, die sich plötzlich wie einzelne Puzzleteile zu einem vollständigen Bild zusammenfügen? Wer ist man überhaupt, wieviel Selbstverleugnung und Anpassung an äußere Erwartungen, die durch Eltern, Partner, Gruppenzwang, Gesellschaft entstanden sind, hat man über Jahre vollzogen? Wie lange führt man schon ein "falsches Leben" und wie sähe ein "richtiges" überhaupt aus? Für welche Veränderungen ist es altersbedingt vielleicht zu spät, für welche fehlen Mut, Zeit und Geld und welche lassen sich überhaupt noch vornehmen? Nicht immer muss man gleich sein ganzes Leben umkrempeln, auch kleine Veränderungen und vor allem professionelle Unterstützung von Psychologen und Coaches, die mit dem Thema Hochbegabung vertraut sind, können schon viel bewirken.

 

Gibt es auch glückliche, erwachsene Underachiever?

Ja, die gibt es. Man muss in seinem Leben nicht jedes größtmögliche Ziel erreichen, nicht jedes Talent zur Entfaltung oder zur Perfektion bringen oder gar in reale, sichtbare Leistung verwandeln. Entscheidend ist, was man für sich selbst als Lebensqualität und als erfüllende, zufriedenstellende Lebensgestaltung empfindet. Diese mag sich nicht immer mit dem eigenen Potenzial decken oder die Erwartungen der Außenwelt erfüllen und so haben es vermeintliche Underachiever nicht immer leicht, wenn sie unkonventionelle, ungewöhnliche Wege gehen. Entscheidend sollte jedoch immer die eigene Zufriedenheit sein und ob ein Leidensdruck vorliegt, der entsprechenden Handlungsbedarf erzeugt, etwas in seinem Leben zu verändern.

 

Literatur:
1, 4, 14, 15, 17, 


 

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